Das Urteil vom 29. Juli 2024 dürfte bei vielen Reiseveranstaltern, Reedereien und ihren Kanzleien für äußerst schlechte Laune sorgen: Ein Kollege hat vor dem EuGH eine Klärung zur Frage herbeigeführt, ob eine Klage nicht nur am Sitz des Veranstalters, sondern gestützt auf europäische Zuständigkeitsregeln auch am Wohnsitz des Verbrauchers erhoben werden kann, dies gem. Art. 18 Abs. 1 der Verordnung 1215/2012/EU (EuGVVO). Diese Frage bejaht der EuGH.
Vorteile einer Klage am Wohnsitz
Die Klage am Wohnsitz bringt gleich eine Fülle von Vorteilen, die dieses Vorgehen in vielen Fällen vorzugswürdig macht.
Anreiseaufwand für Parteien und etwaige Zeugen niedriger
Der offensichtlichste Vorteil ist der geringere Reiseaufwand für eine Anreise zum örtlichen Amtsgericht, als wenn der Reiseveranstalter am anderen Ende des Landes verklagt werden muss.
Teils schnellerer Verfahrensablauf
Oft sind die klassischen Veranstaltergerichte durchaus gut ausgelastet, sodass mit langen Verfahrensdauern zu rechnen ist. Örtliche Amtsgerichte unterliegen gerade auch weniger jahreszeitlichen Schwankungen oder einem Nachfrageüberschuss nach besonderen Ereignissen (z.B. Streiks im Luftverkehr).
Offen für bundesweite Rechtsprechung
Örtliche Amtsgericht arbeiten sich in die Rechtslage häufig erst ein, weil reiserechtliche Fragestellungen erstmals auftauchen. Hierbei dürfte ein Überblick über die bisherige Rechtsprechung zu den relevanten Problemen erarbeitet werden, das Gericht fährt nicht auf einem ausgetretenen Pfad („Haben wir immer schon so gemacht“).
Kein „Klüngel“
Der letzte Punkt ist meines Erachtens besonders wichtig. Nein, Klüngel im eigentlichen Sinne unterstelle ich Gerichten nicht. TUI in Hannover, AIDA in Rostock, FTI (nun ja..) in München sind aber nun einmal bedeutende Arbeitgeber. Das merke ich immer wieder deutlich in der Tendenz von gerichtlichen Entscheidungen, bei denen es z.B. um die Höhe einer Minderung oder die Schwelle der Unerheblichkeit von Reisemängeln geht. Hinter vorgehaltener Hand berichteten Kollegen schon von der Sitzverlegung eines Reiseveranstalters in der Erwartung einer veranstalterfreundlicheren Rechtsprechungstendenz.
Nachteile einer Klage am Wohnsitz
Dem stehen auch relevante Nachteile einer Wohnsitzklage gegenüber.
Reisekostenerstattung für Veranstalter/Rechtsanwälte
So sind im Verlustfall Reisekosten für den Veranstalter und dessen Rechtsanwalt (oder die Aufwendungen für einen Vertreter vor Ort) zu erstatten, wenn denn nicht eine Videoverhandlung gem. § 128a ZPO erfolgt.
Nur teils erstattungsfähige eigene RA-Kosten
Auch die Reiseaufwendungen des eigenen Rechtsanwalts sind nur begrenzt erstattungsfähig. Wer für eine Klage am Wohnsitz einen Rechtsanwalt aus mehreren hundert Kilometern Entfernung engagiert, bleibt auf einem Großteil der Reisekosten selbst im Erfolgsfall sitzen. Das kann dazu führen, dass Rechtssuchende eher örtliche Rechtsanwälte, die aber thematisch keine Ahnung im Reiserecht haben, beauftragen, um dieses Kostenrisiko zu verringern.
Weniger Routine
Gerichten am Wohnsitz dürfte die Routine im Umgang mit reiserechtlichen Fragestellungen fehlen. Auf Veranstalterseite werden versierte Rechtsanwälte dafür sorgen, dass zum Nachteil des Veranstalters keine Fehler begangen werden. Umso wichtiger ist es, dass auch zu Gunsten des Reisenden penibel genau gearbeitet wird.
Fazit
In vielen Fällen könnte eine Klage am Wohnsitz nun geboten sein. Ohne vorherige anwaltliche Beratung zu den Vor- und Nachteilen gerade aufgrund der konkreten Rechtsfragen und der Kenntnis der Rechtsprechungstendenzen am Veranstaltersitz sollte dieser Weg aber nicht bedenkenlos gewählt werden.
EuGH, Urt. v. 29.07.2024, C-774/22