Tesla hat möglicherweise ein Problem mit tausenden PKW-Kaufverträgen, bei denen aufgrund von Formulierungen in der Widerrufsbelehrung, unter anderem einer fehlenden Telefonnummer, gem. § 356 Abs. 3 BGB die Frist zur Erklärung des Widerrufs auf zwölf Monate und 14 Tage verlängert sein könnte (hier habe ich mehr dazu geschrieben). Auch bestünde möglicherweise kein Wertersatzanspruch, § 357a Abs. 1 Nr. 2 BGB. Dieses Problem, was Verbrauchern in Anbetracht drastisch gefallener Neu- und Gebrauchtmarktpreise tausende Euros kosten könnte, hatte ich entdeckt und zuerst am Markt für meine Mandanten fruchtbar gemacht. Der Bundesgerichtshofs dämpft nun Erwartungen von Verbrauchern durch eine erste Entscheidung.
Anfangs gute Aussichten in der Rechtsprechung
Tesla erkannte das Problem und beauftragte eine Großkanzlei, um dieses Problem beherrschen zu können. Die ersten Signale waren überwiegend positiv: So ergingen mehrere Versäumnisurteile, da Tesla offenbar nicht in der Lage war, eingehende Post richtig zu bearbeiten. Diese Versäumnisurteile bestätigen dem Vorgehen die Schlüssigkeit, was auch eine (weitgehende) rechtliche Prüfung mit einschließt. Auch in den ersten mündlichen Verhandlungen erlebte ich Richter, die mir mitteilten, dass sich das alles gut lesen würde, man das Ergebnis aber „krumm“ finden würde.Dann aber die Wende: Klageabweisungen in der ersten Instanz. Dieses Störgefühl hat mit als eines der ersten Gerichte auch das LG Münster zum Ausdruck gebracht, als es die Klage eines Verbrauchers (der seines Zeichens sogar Rechtsanwalt ist) abwies. Das Urteil liest sich als Abrechnung mit den ach so bösen Verbrauchern, die einfach nur von den ihnen gesetzlich zustehenden Rechten Gebrauch machen und Gerichte mit Massenverfahren lähmen
Hatte ich anfangs erwartet, dass es sich nur um einige Ausreißer handelt und äußerst viel Hoffnung auf das Landgericht Berlin gesetzt, dass besonders viele Klagen von meinen Mandanten erhielt, schlug diese Hoffnung schnell in Verärgerung um. Die Qualität der Auseinandersetzung mit dem Streitstoff ließ, das zeigten mir die mündlichen Verhandlungen, sehr zu Wünschen übrig. Ich bekam den Eindruck, dass Gerichte diese Fälle als willkommene Einladung für schnelle Copy & Paste-Entscheidungen nahmen, in denen sich (evidente) juristische Fehler sogar bis heute wiederholen und die zudem teils auch handwerklich nicht von großer Sorgfalt zeugen (falsches Geschlecht, falsche Daten zum Vertragsschluss, Kaufpreis, FIN…). Gerichte haben zudem in der ersten Instanz (von uns für solche gehaltene) Fehler in der Belehrung überhaupt nicht erkannt und sich lediglich mit dem Kernthema, der fehlenden Telefonnummer und noch einer Problematik zur Anzahlung befasst. Teils machten sich Gerichte nicht einmal mehr die Mühe, die Entscheidung zu begründen und verweisen zur Begründung lapidar auf andere in der Akte vorhandene Urteile. Für den rechtssuchenden Bürger, für den es hier um einen fünfstelligen Betrag geht, ist so ein Vorgehen unverständlich, es grenzt an Dreistigkeit.
Signale aus der zweiten Instanz
Von Oberlandesgerichten war ich während meiner gesamten juristischen Laufbahn (fast) nur gutes juristisches Handwerk mit einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt sowie der Rechtslage gewohnt. Hier war ich guter Dinge, dass der evidente Murks ausgemerzt und sorgfältig, gerade auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung von EuGH und BGH, entschieden wird. Auch hier wurde ich leider enttäuscht. Viele Senate am Kammergericht Berlin sind sogar dazu übergegangen, Berufungen durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Dieser Weg zur Verfahrensbeendigung ist für evident nicht erfolgversprechende Berufungen geschaffen worden, um Gerichte nicht mit unnötigen Berufungsverhandlungen zu behindern. Ich konnte nicht anders, als an Schilderungen eines „Insiders“ zu denken, wie in der Praxis teils solche Beschlüsse zustande kommen. Teils haben zweitinstanzliche Gerichte binnen weniger Wochen solche Beschlüsse erlassen, um die „heiße Kartoffel“, loszuwerden. Das ist übrigens kein Unikum in Berlin: Auch an anderen Standorten haben Berufungsgerichte Berufungen gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Dies erfolgte teils mit juristisch sorgfältigerer Begründung, teils auch nicht.
Es gibt aber auch Lichtblicke: So haben das OLG Stuttgart und das OLG Hamm in Aussicht gestellt, Tesla auf eine Berufung hin zu verurteilen, in Stuttgart erfolgte sogar eine Vernehmung zu einem (stets seitens Tesla bestrittenen) Rückgabeversuch des Fahrzeuges. Eine Entscheidung wurde aber meines Wissens noch nicht verkündet, da man auf ein erstes Signal des Bundesgerichtshofs abwarten wollte (s.u.).
Erstinstanzliche Verurteilungen Teslas
Auch erstinstanzlich gibt es inzwischen einige (wenn auch relative betrachtet wenige) Gerichte, die Tesla zur Kaufpreiserstattung mit Schlussurteilen (und gerade nicht nur Versäumnisurteilen) verurteilt haben, wenn auch diese Entscheidungen nach hiesiger Kenntnis bisher nicht rechtskräftig sind. Die Gerichte begründen die Verurteilungen teils etwas grob, aber – so meine ich – im Ergebnis richtig. Besonders positiv stechen aber Entscheidungen der 34. Zivilkammer des LG Berlin II heraus, in denen eine Assessorin als Einzelrichterin schulbuchmäßig die Voraussetzungen prüft und auch die Rahmenbedingungen durch EuGH- und BGH-Rechtsprechung berücksichtigt und so zu dem Ergebnis kommt, das auch ich für richtig halte.
Nichtzulassungsbeschwerden am Bundesgerichtshof
Da ich die u.a. ersten Klagen gegen Tesla betreute, landeten meine Verfahren naturgemäß auch zuerst am Bundesgerichtshof. Dort geht es in einem ersten Schritt darum, mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend zu machen, dass die Berufungsgericht eine Revision hätten zulassen müssen. Ist die Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich, wird der Beschwerde also stattgegeben, schließt sich unmittelbar das Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof an.
Der Bundesgerichtshofs hatte im Januar zu diesem Thema vermutlich aufgrund der nicht nur für den Einzelfall bestehenden Relevanz der vielen Betroffenen Verbraucher eine Pressemitteilung veröffentlicht und eine Beratung über die ersten Nichtzulassungsbeschwerden bis zum 25. Februar 2025 angekündigt.
Wichtig ist dabei: Der Bundesgerichtshof entscheidet im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde noch nicht darüber, ob Verbraucher eine verlängerte Widerrufsfrist nutzen konnten und ob – bejahendenfalls – Wertersatz geschuldet ist. Der Bundesgerichtshof prüft dabei in diesem ersten Schritt nur, ob die Revision hätte zugelassen werden müssen. Das sind abschließend folgende Gründe:
- Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache,
- Fortbildung des Rechts oder
- Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
Hiernach geht es dann – im Erfolgsfall – mit dem gewöhnlichen Revisionsverfahren weiter, in dessen Zuge der Bundesgerichtshof auch noch einzelne rechtliche Fragen zur Klärung dem Europäischen Gerichtshof vorlegen könnte.
Die erste Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Der Bundesgerichtshof hat die Beschwerde in dem ersten nun entschiedenen Verfahren abgelehnt. Der BGH hält mehrere mögliche Fehler in der Widerrufsbelehrung nicht für relevant.
- Eine Telefonnummer sei nicht erforderlich in der Widerrufsbelehrung
- Wäre eine Telefonnummer erforderlich, würde ihr Fehlen die Widerrufsfrist auch nicht beeinträchtigen, weil dies Verbraucher nicht vom Widerruf abhalte
- Die Belehrung über den Fristbeginn sei zutreffend, obwohl die Ware in zwei Teillieferungen (Fahrzeugpapiere und Fahrzeug selbst) geliefert wird und Tesla eine Formulierung verwendet, die nur bei einheitlicher Lieferung der Ware anwendbar sei
- Dass Angaben zur Höhe der Kosten der Rücksendung fehlen, berühre die Widerrufsfrist ebenfalls nicht
- der Verbraucher würde auch nicht dadurch irregeführt, dass einleitend das Widerrufsrecht unter die Bedingung der Verbrauchereigenschaft und eines Vertragsschlusses durch Fernkommunikationsmittel gestellt wurde
Perspektiven für Verbraucher
Der hier betroffene Verbraucher hat eine Prüfung der Erfolgsaussichten und Anhörungsrüge sowie ggf. Einlegung einer Verfassungsbeschwerde aufgrund der Verletzung des Rechts auf seinen gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG beauftragt, da aus seiner Sicht kein acte clair vorliegt und eine Vorabentscheidung durch den Europäischen Gerichtshof gem. Art. 267 AEUV erforderlich gewesen wäre, was auch zur Revisionszulassung hätte führen müssen. Bleibt die eventuelle Verfassungsbeschwerde erfolglos, wäre die Angelegenheit für den hier betroffenen Verbraucher erfolglos beendet.
Im Übrigen wäre es weiter möglich, dass in einem weiteren Verfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde oder Revision der Bundesgerichtshofs seine Meinung ändert und z.B. die relevanten Fragen dem EuGH unter „Umgehung“ des Bundesgerichtshofs vorlegt. Auch eine Vorlage an den EuGH von einem Instanzgericht ist gem. Art. 267 Abs. 2 AEUV denkbar. Diese Optionen sind aber weniger wahrscheinlich.
OLG Stuttgart widerspricht Bundesgerichtshof
Das OLG Stuttgart bleibt bei seiner verbraucherfreundlichen Auffassung und hält die fehlende Angabe zu Rücksendekosten sowie unklaren Voraussetzungen zum Bestehen des Widerrufsrecht. Das Gericht hat Tesla zur Erstattung verurteilt und die Revision zugelassen (s. OLG Stuttgart, Urt. v. 11.03.2025, 6 U 57/24). Das OLG führt u.a. aus:
„Soweit der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, dass der Verbraucher durch die von der Beklagten verwendete Widerrufsbelehrung nfcht über die personriche und sachliche Reichweite seines Widerrufsrechts irregeführt wird (BGH, Beschluss vom 25. Februar 2025 – VIll ZR 143/24 -, Rn. 29, juris), enthält die zitierte Entscheidung keine Ausführungen zu der vorgelagerten Frage, ob das Gesetz bei richtlinienkonformer Auslegung dem Unternehmer eine Widerrufsbelehrung gestattet, der lediglich die gesetzlichen Voraussetzungen des Widerrufsrechts abstrakt wiedergegeben werden, so dass dem Verbraucher die Subsumtion unter die beschriebenen Tatbestandsmerkmale überlassen bleibt, ohne dass ihm konkret mitgeteilt wird, ob in seinem Fall ein Widerrufsrecht besteht oder nicht.“
Über diese Revision, die Tesla möglicherweise einlegen wird, entscheidet dann erneut der Bundesgerichtshof und voraussichtlich der 8. Zivilsenat, der bereits den Beschluss vom 25. Februar 2025 verfasst hat.
BGH, Beschl. v. 25.02.2025, VIII ZR 143/24, hier im Volltext