Der Deutsche Richterbund präsentierte jüngst wieder erschreckende Zahlen, die die Fülle der Klagen in Fluggastrechtesachen an deutschen Gerichten verdeutlicht. So soll das Amtsgericht im beschaulichen Königs Wusterhausen, zuständig für den Flughafen BER, in seinem modernen Haupt- und dem recht spartanischen Nebengebäude alleine rund 15.500 Eingänge im Jahr 2024 verzeichnet haben. Dazu erlebe ich, dass immer mehr Kanzleien auf Airlineseite ihre Schriftsätze mit vollkommen irrelevanten Informationen aufblähen, die keine Fallrelevanz aufweisen. Während ich aus der Nähe Frankfurts „solide Handarbeit“ mit durchdachten Schriftsätzen, die sich meistens auf die wesentlichen Punkte konzentrieren, erlebe, wirft man in Frankfurt selbst, in Hannover und auch Hamburg wild mit Textbausteinen um sich.
Richterbund: KI als Lösung
Als Lösung scheinen einige Gerichte nun KI herbeizusehnen. Diese soll, so liest man, aufgrund von Falldaten und anderen Entscheidungen in vergleichbaren Fällen als Hilfe für Gericht dienen. Wenn auch ich zugeben muss, dass ich mich noch nicht persönlich von den Eigenschaften der Softwarelösungen überzeugen konnte und auch nicht weiß, wie ein einzelner Richter mit diesem Werkzeug umgeht, sehe ich mehrere Problempunkte.
Gericht beurteilt dargelegten Sachverhalt – Keine Amtsermittlung
ITler lieben KI, so lassen sich schnell z.B. Programmieraufgaben lösen, weil die KI sich aus anderen Falllösungen inspiriert dem Problem nähert. Auch Wissensfragen lassen sich durch eine gute Durchdringung verarbeiteter Informationen recht zuverlässig beantworten. Im Zivilprozess gilt der Beibringungsgrundsatz. Damit beurteilt das Gericht den Sachverhalt, den die Parteien ihm vorgetragen haben. Es geht nicht darum, wie der Fall sich möglicherweise wirklich abspielte, abseits vom Vortrag der Parteien, sodass das Gericht auch nicht selbst den Sachverhalt ermittelt. Aber ist das nicht egal? Nein: Mir ist noch ein Fall vor dem AG Rüsselsheim in Erinnerung, in dem ein Ferienflieger versuchte, die krasse Ankunftsverspätung mit einem Ausfall des Gepäcksystems am Flughafen Hurghada zu rechtfertigen. Die Airline legte hierzu diverse (!) am selben Gericht ergangene Entscheidungen vor, in denen das Gericht jeweils einen Anspruch auf Ausgleichsleistung verneinte, die Airline wähnte sich sicher. Für meine Mandanten war ich jedoch in gleicher Sache erfolgreich, weil ich mir die Mühe gemacht habe, die von der Airline geschilderten Umstände auf ihre Auswirkungen auf die Abfertigung von Passagieren und der rechtzeitigen Flugdurchführung zu prüfen und zu hinterfragen. Derzeit betreue ich viele Opfer von schlampiger Airlinearbeit, als durch den Crowdstrike-Fehler am 19. Juli 2024 einige IT-Systeme ausfielen und manche Airline sich dafür entschied, die Hände in den Schoß zu legen, statt alles daran zu setzen, Passagiere dennoch zeitnah an ihr Ziel zu befördern. Hier zitieren die Kollegen auf Airlineseite erste Urteile, in denen Airlines offenbar erfolgreich waren, weil von Passagierseite kein ausreichender Vortrag erfolgte. Kurz: Ich möchte nicht, dass meine Mandanten verlieren, weil Kollegen in anderen Fällen unsorgfältig gearbeitet haben.
Abgestufte Darlegungs- und Beweislastanforderungen
Sollte eine KI auf Basis vergleichbarer Entscheidungen Urteilsvorschläge unterbreiten, befürchte ich zudem, dass eine angemessene richterliche Prüfung im Hinblick auf Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast übersehen werden könnten. Die KI soll nicht, wie im ersten Staatsexamen, einen feststehenden Sachverhalt einer rechtlichen Würdigung unterziehen. Ich erwarte, dass das Gericht im konkreten Fall den Vortrag beider Parteien, der sich bei Luftfahrtunternehmen nicht nur vereinzelt in Allgemeinplätzen erschöpft, genau daraufhin abklopft, um den zu beurteilenden Sachverhalt zu ermitteln.
Risiko ungeprüfter Übernahme
Ich sehe zudem das Risiko, dass „Entscheidungshilfen“ als willkommene Einladung dafür gesehen werden, die Entscheidung ungeprüft der KI zu überlassen, um so Aufwand zu sparen. Ich erlebe an den Luftfahrtstandorten auf breiter Front Richter, die sehr gut mit der Materie in rechtlicher Hinsicht vertraut sind und die Schwachstellen des Vortrages auf Airlineseite gut kennen. Das führt in der Regel zu zutreffenden Entscheidungen. Diese Fähigkeiten würde ich auch gerne weiter im Einsatz sehen. Dass das nicht selbstverständlich ist, erlebe ich leider derzeit in anderen Angelegenheiten. Seit ich im Sommer 2023 eine Vielzahl von Mandanten mit einem weitgehend identischen Sachverhalt abseits von Fluggastrechten an verschiedenen Gerichten bundesweit betreue, habe ich gelernt, was ich bisher nicht zu denken glaubte: Auf breiter Front werden landgerichtliche Urteile schlicht abgeschrieben, offenbar ohne diese zu Hinterfragen. Das erkenne ich daran, dass auf der Hand liegende rechtliche Fehlschlüsse sich in einer Vielzahl von Entscheidungen finden, die teils identisch formuliert sind, gekrönt wird das durch Fehler beim Geschlecht der Klagepartei und Eckdaten des Sachverhalts, wie z.B. Datum, Forderungshöhe und Zinsbeginn.
Dabei dürfte die Schlagzahl von Fällen am Landgericht im Schnitt deutlich geringer sein, als bei den Kollegen, die sich an den Amtsgerichten mit Fluggastrechten befassen.
Oft mangelnde Berufungsmöglichkeit
Die erhöhte Fehlergefahr mündet dann in das Problem, dass erstinstanzliche Urteile in Fluggastrechtesachen oft nicht die Mindestbeschwer von 600,00 € überschreiten, die § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO für die Berufung vorsieht. Die Zulassung der Berufung ist eine (recht seltene) Ausnahme. Werde ich also als Partei damit konfrontiert, dass das Gericht an der falschen Stelle Aufwand gespart hat, ist das oft zugleich das Ende der Durchsetzung. Bereits heute mache ich auf breiter Front von der Möglichkeit Gebrauch, eine (sonst nicht erforderliche) mündliche Verhandlung zu beantragen, damit etwaige Unklarheiten oder schlicht Fehler bei dem zu beurteilenden Sachverhalt vermieden werden können.
Fazit
Benutzen Gerichte KI wirklich ausschließlich als Hilfsmittel, um sich z.B. den Ablauf einer Reise stichpunktartig zusammenzufassen oder Tatsachenvortrag (ohne Filterung) zu strukturieren, um dann eine eigene Prüfung vorzunehmen, ist das aus meiner Sicht ein sinnvoller Ansatz. Auch wäre es ein richtiger Ansatz, wenn die Nutzung der KI für die beteiligten Parteien transparent ist, also z.B. das Gericht Entscheidungsvorschläge oder sonstige KI-basierte Leistungen den Parteien zugänglich macht, damit die Parteien den Einsatz von KI im konkreten Fall nachvollziehen und bei Fehlern bereits frühzeitig entgegensteuern können.