In der jüngeren Vergangenheit erreichen mich immer wieder Berichte von Passagieren, die ihre Flügen schon in der Corona-Krise gebucht haben und dennoch von einer darauf folgende Annullierung überrascht werden, teils liegen zwischen Flugbuchung und geplantem Abflug nur wenige Tage.
Nach Ansicht der Europäischen Kommission können Sicherheits- und wirtschaftliche Erwägungen rund um Corona einen außergewöhnlichen Umstand darstellen, der die Pflicht zur Ausgleichsleistung (125,00 € – 600,00 €) entfallen lässt. Ich halte das bereits für rechtlich fragwürdig, die Veröffentlichung der Kommission hat keine Bindungswirkung.
Wenn auch der Begriff nicht hinreichend klar zu fassen ist: Außergewöhnliche Umstände liegen vor, wenn fehlende oder stark erschwerte Einflussnahmemöglichkeiten der Airlines bzw. Risikoabgrenzungserwägungen für ihr Vorliegen sprechen (BeckOGK/Steinrötter, 1.1.2020, Fluggastrechte-VO Art. 5 Rn. 38)
Außergewöhnliche Umstände? Eher nein.
Soweit nicht unvorhersehbare rechtliche Regelungen die Durchführung des Fluges unmöglich machen oder – unvorhergesehen – die Wirtschaftlichkeit kurzfristig massiv beeinträchtigt wird, sehe ich hier keine außergewöhnlichen Umstände. Das Luftfahrtunternehmen hat sich vielmehr aus freien Stücken dazu entschieden, einen Flug in Zeiten anzubieten, in denen die Nachfrage äußerst gering ist (wie zum Beispiel zwei Passagiere auf dem Flug nach Sardinien).
Anders auf Kosten der Airline zum Ziel reisen!
Bedient eine andere Fluggesellschaft das Ziel, so kann gem. Art. 8 Abs. 1 lit. a) der Verordnung 261/2004/EG eine Umbuchung auf den nächstmöglichen Flug, auch mit einer anderen Fluggesellschaft verlangt werden. Soweit deutsches Zivilrecht anwendbar ist, kann nach einer Nachfristsetzung auch auf eigene Faust eine alternative Reise auf Kosten des ursprünglichen Luftfahrtunternehmens, z.B. per Bus, Bahn oder PKW angetreten werden.
Strafrechtliche Relevanz?
Man könnte sogar überlegen, ob eine strafrechtliche Relevanz hinzukommt. Fakt ist: Luftfahrtunternehmen bearbeiten Erstattungen derzeit zumindest massiv verzögert, wenn überhaupt und befinden sich zugleich teils in finanziellen Schwierigkeiten. Hier wird dem Kunden die Durchführung eines Fluges vorgetäuscht, er zahlt daher das Ticketentgelt, welches das Vermögen des Luftfahrtunternehmens mehrt. Ob das Geld zurückgezahlt wird, ist dabei nicht unbedingt entscheidend: Es kann im Einzelfall auch eine „schadengleiche Vermögensgefährdung“ ausreichen. Ist also das Angebot von Flügen in Kenntnis des Umstands erfolgt, dass der Flug nicht durchgeführt wird, kann der Versuch, sich so Liquidität zu beschaffen, durchaus den Tatbestand des (auch gewerbsmäßigen) Betruges gem. § 263 Abs. 1, 3 Nr. 1 1. Var. StGB erfüllen.
Fazit: Genau hinschauen
Gerade derzeit, wo der Luftverkehr spürbar wieder anläuft, sollten Passagiere genau hinsehen, wenn es doch erneut zu Annullierungen kommt. Gerade bei wenig Abstand zwischen Buchung und Abflug dürften gute Argumente dafür sprechen, dass ein Ausgleichsanspruch besteht. Luftfahrtunternehmen sollten zur Streichung geplante Flüge unverzüglich aus dem Verkauf nehmen und zusätzlich auch – wie ohnehin geschuldet – unverzüglich Flugpreiserstattungen vornehmen.