In einem von mir betreuten Fall geht es um ein von Air France storniertes Flugticket aus den USA über Paris nach London. Der Preis war günstig und so wollte Air France meinen Mandanten nicht fliegen lassen. Der Fall ist – auch außerhalb der Juristen- und Fliegerszene – durch die Presse gegangen und hat einiges an Aufsehen erregt.
Landgericht Frankfurt a. M. und OLG Frankfurt am Main nahmen an, für den Rechtsstreit nicht zuständig zu sein, weil es sich nicht um eine Streitigkeit aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung handele, Air France auch keine solche unterhalte. Auf die Revision hin hat der Bundesgerichtshof nun meinem Mandanten recht gegeben.
Standardfall: Abflug- oder Zielort
Grundsätzlich können Ansprüche gegen Luftfahrtunternehmen mit grenzüberschreitendem Sachverhalt am Abflug- und Zielort geltend gemacht werden, wie der EuGH unter Berufung auf Art. 7 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) EuGVVO klärte. Auch am Sitz des Luftfahrtunternehmens kann geklagt werden.
Hier: Kein Sitz, Abflug- oder Zielort in Deutschland
Der hier vorliegende Sachverhalt wich davon aber ab: Der Passagier wollte aus den USA über Paris nach London fliegen und gleichwohl in Deutschland klagen. Die Klage vor dem LG Frankfurt stützte ich darauf, dass diverse Umstände, die Air France selbst auf seiner Website mitteilt, auf eine Zweigniederlassung hindeuten (Umsatzsteuer-ID, Bezeichnung als Direktion für Deutschland, eigener Geschäftsführer der Niederlassung…).
Auch handelt es sich um eine Streitigkeit aus dem Betrieb dieser Zweigniederlassung, da das Ticket eine IATA Agenturnummer aufweist, die auf einen Standort in Frankfurt, Zeil 5, dem Sitz der Direktion für Deutschland hinweist. Das Ticket wurde unter airfrance.de gebucht, im Impressum sind auch Angaben zu einer Frankfurter Telefonnummer enthalten. Air France hatte sich bis zum BGH auf den Standpunkt gestellt, dass das Ticket „im Internet“ ausgestellt würde und diese überall, keinesfalls aber in Frankfurt am Main erfolgt sei.
Entscheidungen LG Frankfurt und OLG Frankfurt
Die Frankfurter Gerichte haben in den beiden ersten Instanzen eine Zuständigkeit mit der Argumentation von Air France verneint und nicht auf den äußeren Eindruck, sondern vielmehr auf die tatsächlichen Umstände abgestellt, die für einen buchenden Gast nicht einsehbar sind (z.B. Bericht bei LTO, Bericht bei Beck, Bericht bei airliners.de) Das OLG Frankfurt hat aber die Revision zugelassen und damit den Weg zum Bundesgerichtshof geebnet.
Die Entscheidung des BGH: Zweigniederlassung in Frankfurt am Main
Der BGH bejaht eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte auf Basis von Art. 7 Abs. 1 Nr. 5 EuGVVO. Es hält die dargelegten Umstände für ausreichend, um eine Zweigniederlassung darzustellen. Dies begründet das Gericht mit dort beschäftigten Mitarbeitern, die Angebote für den deutschen Markt konzipieren, einem Geschäftsführer für Deutschland. Ob es sich um eine unselbständige Betriebsstätte handelt, sei anhand des äußeren Eindrucks zu entscheiden.
Bezug zum Betrieb der Niederlassung
Der Umstand allein, dass eine Zweigniederlassung in einem Land unterhalten wird, ist nicht ausreichend. Der Bundesgerichtshof bejaht aber für den hier zu beurteilenden Fall auch den Bezug dieses Vorgangs zur Zweigniederlassung und stellt auch hier wieder im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH auf den äußeren Eindruck ab. Wesentlich seien hier
- die Pflichtangaben gem. § 5 TMG („Impressum“),
- die Top-Level-Domain .de,
- die Bezeichnung als „Air France in Deutschland“,
- den Hinweis auf die ausstellende IATA-Agentur auf dem elektronischen Ticket.
Und, darf der Passagier nun fliegen?
Es ging doch eigentlich um einen preiswerten Flug, den der Passagier gerne in Anspruch nehmen wollte, was ist nun damit? Die Antwort enttäuscht: Darüber wurde noch nicht entschieden, da sich die Gerichte bisher nur mit der Frage auseinandersetzten, ob sie für eine Entscheidung zuständig sind. Die Fragen, ob hier ein wirksamer Vertrag geschlossen wurde, ob dieser aufgehoben wurde und welche Folgen dies hat, sind erst jetzt zu klären, da der Bundesgerichtshof die Angelegenheit an das Gericht erster Instanz, das Landgericht Frankfurt am Main, zurückverwiesen hat.
Fazit
Die Rechtsverfolgung vor deutschen Gerichten ist attraktiv: Überschaubare Kosten, die Kosten trägt im Erfolgsfall in der Regel der Gegner, kurze Verfahrensdauern und eine gut einzuschätzende Rechtslage mit überwiegend fähigen Juristen bei den Gerichten, die das Recht anwenden. Auch abseits der ausgetretenen Pfade „Sitz, Ankunft, Abflug“ kann es sich lohnen, den Sachverhalt genau zu prüfen, um einen Fall doch noch vor ein deutsches Gericht zu bekommen, der auf den ersten Blick dafür ungeeignet erscheint. Dass sich (Luftfahrt-)Unternehmen vor deutschen Gerichten versuchen zu „drücken“ hat vermutlich nur den Hintergrund, ihren Kunden den sehr unbeschwerlichen Weg zum Recht zu nehmen.
BGH, Urt. v. 16.03.2021, X ZR 9/20 im Volltext als PDF-Datei