Update vom 27. Oktober 2022 (Urteil AG Erding) unten
Änderung der Buchung durch die Airline und es gibt Geld zurück klingt gut, oder? In diesem Bann kann aufgrund einer sehr fragwürdigen Gestaltung einer E-Mail der Lufthansa aber eine teure Falle drohen, über die jüngst auch der SWR berichtete.
Seit rund einem Jahr wissen Passagiere: Erstattungen nach Annullierungen sind das erstrebenswerte Ziel, dass im letzten Jahr aufgrund organisatorischer Schwierigkeiten von Airlines auf der ganzen Welt – so die Sprachregelung in der Regel – nur sehr verzögert geleistet wurden. Teils sträuben sich Airlines bis heute, die längst fälligen Erstattungen zu leisten, wenn auch viele Airlines inzwischen die Krise teils überwunden haben und in vielen Fällen zeitnah zahlen, so auch meiner Erfahrung nach die Lufthansa. Wenn auch Erstattungen nicht immer der sinnvollste Weg sind, ist der Passagier darauf so sehr getrimmt, dass er scheinbar in manchen Fällen reflexartig die Erstattung verlangt. An dieser Stelle ergibt sich für betroffene Passagiere ein neues Problem: Die Erstattungsfalle. Grundlage ist eine E-Mail, die so oder so ähnlich aussieht:
Um die Umstände genauer zu verstehen, ist ein wenig auszuholen, wann überhaupt ein Erstattungsanspruch nach der Fluggastrechteverordnung besteht.
Erstattung erst ab zwei Stunden?
Einerseits meint Lufthansa, nur eine Veränderung der Ankunfts- oder Abflugzeit von mindestens zwei Stunden berechtige zur Flugpreiserstattung. Ist das wirklich so?
Entscheidend für den Erstattungsanspruch nach Art. 5 Abs. 1 lit. a) der VO 261/2004/EG (Fluggastrechteverordnung) ist eine Annullierung. Wann liegt eine solche Annullierung vor?
Ein Flug, der entsprechend der ursprünglichen Planung durchgeführt, also nicht aufgegeben wird, kann – auch wenn sich die tatsächliche Abflugzeit gegenüber der planmäßigen Abflugzeit verzögert – nicht als „annullierter Flug“ qualifiziert werden. Das hat der EuGH mit Urteil vom 19.11.2009, C-402/07 klargestellt.
Auch eine Vorverlegung der Abflugzeit – unter identischer Flugnummer – kann eine Aufgabe der ursprünglichen Flugplanung darstellen, wenn ein Flug um mehrere Stunden vorverlegt wird, wie der Bundesgerichtshof im Jahr 2015 befand. Ein Urteil ist hier ohne Entscheidungsgründe ergangen, da das Luftfahrtunternehmen den Anspruch anerkannt hat. Die Fallgestaltung der Vorverlegung ist aber in mehreren Verfahren dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt worden und bisher noch nicht dort entschieden worden.
Ebenfalls dann, wenn sich die Abflugzeit verzögert und der Flug auf einen anderen Flug verlegt wird, also wenn die Planung des ursprünglichen Fluges aufgegeben wird und die Passagiere dieses Fluges zu den Passagieren eines anderen Fluges, der ebenfalls bereits geplant war, hinzustoßen, kann grundsätzlich von einer Annullierung ausgegangen werden.
Der BGH hält eine Aufgabe der Flugplanung und damit eine Annullierung aber zum Beispiel dann für indiziert, wenn das Luftfahrtunternehmen dem Passagier eine Umbuchung anbietet.
Der letztgenannte Fall dürfte in der aktuellen Phase der Klassiker der Veränderungen in Buchungen sein: Luftfahrtunternehmen regulieren aufgrund falscher Vorhersage zur Auslastung nach und nehmen so Flüge aus dem Flugplan und buchen Passagiere um. Dabei kommt es nicht darauf an, ob zwischen zwei Flügen weniger oder mehr als zwei Stunden liegen.
Beispiel für eine Annullierung bei Umbuchung
Wer also auf LH93 von Frankfurt nach München um 7:00 Uhr gebucht war, hat meiner Ansicht nach auch dann einen Erstattungsanspruch, wenn er auf LH95 um 8:00 Uhr umgebucht wird.
Die Erstattungs-Falle
In einigen mir bekannten Fällen bot Lufthansa mit Hinweis auf lediglich die (meiner Ansicht nach unzutreffende) 2-Stunden-Schwelle in einer Informationsmail gleichwohl die Option einer Erstattung per Mausklick an. Passagiere, die in diesen Fällen dann auch eine Erstattung per Mausklick verlangen, erhalten diese. Nun kommt der große Haken: Ist nach Ansicht der Lufthansa kein vollständige Erstattung geschuldet, da sich Ankunfts- oder Abflugzeit um weniger als zwei Stunden verändern, löst ein Auslösen der Erstattung eine solche nach den anwendbaren Tarifbedingungen aus, was einen erheblichen Verlust bedeuten kann. In einem mir vorliegenden Fall wurden von einem Ticket im Wert von rund 1.800,00 € lediglich rund 300,00 € erstattet.
Geld weg? Buchung weg?
Das Ergebnis kann so nicht stehen bleiben. Wenn auch meiner Recherche nach zu dieser neuen Konstellation noch keine Rechtsprechung existiert, dürfte diese höchstgradig verwirrende Vorspiegelung eines (so nimmt der Passagier an) vollständigen Erstattungsanspruchs nach Mausklick nicht dazu führen, dass Lufthansa am Ende je nach Tarifbedingungen einen Großteil des Ticketpreises einbehält, ohne hierfür eine Leistung zu erbringen. Ansätze gibt es genug: Einerseits dürfte der Klick auf einem Irrtum über den Inhalt der Erklärung berufen, sodass eine unverzügliche Anfechtung hilft, § 119 Abs. 1 BGB.
Im Übrigen dürfte die Vereinbarung zur Aufhebung eines Beförderungsvertrages unter anteiliger Erstattung auch ein Vertrag sein, der im Fernabsatz geschlossen wurde, Verbrauchern steht hier ein Widerrufsrecht zu (ähnlicher Gedanke, wie bei den Gutscheinfällen). Im Übrigen dürfte schlicht ein Anspruch auf volle Erstattung vorliegen, wenn nach obigen Grundsätzen sehr wohl eine Annullierung vorliegt, die aber von der 2-Stunden-Schwelle der Lufthansa nicht abgedeckt wurde.
Bisheriger Verlauf gerichtlicher Verfahren
Lufthansa lässt sich weiter munter verklagen. Gegen eine Entscheidung des AG Köln ist bereits eine Berufung anhängig. In Verfahren vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main hat das Gericht vorläufige Hinweise erteilt, wonach eine vollständige Erstattung geschuldet sein dürfte, wenn die Beförderung verweigert wird. Lufthansa hat daraufhin eine Zahlung vorgenommen, um eine Entscheidung zu vermeiden. Weitere Verfahren sind bundesweit rechtshängig.
AG Erding: Pflichtverletzung der Lufthansa denkbar
In einem aktuellen Hinweisbeschluss hält das Amtsgericht Erding (Zuständig für Flüge ab / nach München) eine Pflichtverletzung der Lufthansa für denkbar:
AG Erding verurteilt Lufthansa zur Erstattung
Nachdem Lufthansa bisher in allen (!) von mir vertretenen Fällen nach Hinweisen des Gerichts vermieden hat, dass eine Entscheidung zu ihren Lasten ergeht, ist nun das erste begründete Urteil gegen Lufthansa ergangen, mit dem Lufthansa nach einem Verklicken des Passagiers zur Erstattung verurteilt wird. Das Gericht begründet ausführlich den Willensmangel auf Klägerseite und die sich daraus ergebende Folge.
AG Erding, Urt. v. 27.10.2022, 104 C 682/22 hier im Volltext (noch nicht rechtskräftig)
Fazit
Schon in manchen Konstellationen erlebte ich, dass Unternehmen für Verbraucher vermeintlich einfache Wege zur Vertragsregelung zur Verfügung stellen, die zuvorderst dem Unternehmen den Aufwand zur Bearbeitung erleichtern. Aber auch die vielen Gutscheinfälle von Flugvermittlern per Mausklick zeigen, dass dieses Mittel auch dafür missbraucht wird, um Verbrauchern Erklärungen unterzuschieben, die diese gar nicht abgeben wollten.
Der sicherste Weg, um solche Fehler zu vermeiden, bleibt die Kontaktaufnahme per E-Mail mit sorgfältig durchdachten Forderungen (z.B. durch meine kostenfreien Musterschreiben). Ist das Kind erst in den Brunnen gefallen, bestehen gleichwohl gute Aussichten auf Erfolg, die Erstattung in voller Höhe zu erhalten oder zumindest die Ausgangsbuchung wiederherzustellen.