Da ist sie, die lange erwartete Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu im Wesentlichen drei Fragen, die in der Praxis von hoher Bedeutung sind.
Annullierung bei Vorverlegung des Fluges um mindestens eine Stunde
Ab wann eine Annullierung vorliegt und so zum Beispiel Reisende nach Art. 8 Abs. 1 lit. a) der VO 261/2004/EG (Fluggastrechteverordnung) eine Erstattung des Flugpreises verlangen können, ist bei eine Vorverlegung eines Fluges bisher schwierig gewesen. Die klassischen Unannehmlichkeiten für Fluggäste entstehen tendenziell eher bei Verspätungen. So hat der BGH auch einmal erst bei einer neunstündigen Vorverlegung eine Annullierung angenommen, ohne die genaue Grenze klarzustellen. Der Generalanwalt am EuGH nahm hier noch an, dass die Grenze bei zwei Stunden liegen dürfte, da dies üblicherweise so viel Zeit sei, dass ein am Flughafen planmäßig rechtzeitig eintreffender Reisender, der davon keine Kenntnis hat, seinen Flug noch erreichen würde.
Der EuGH hat nun entschieden: Eine Vorverlegung um mehr als eine Stunde reicht aus, damit Reisende z.B. einen Anspruch auf Erstattung des Ticketpreises haben.
Verantwortung der Airline, die gar kein Ticket ausgestellt hat
Auch spannend war die Frage, wie mit Fällen umzugehen ist, in denen der Reisende zwar eine bestätigte Buchung vorlegen kann, diese aber nicht vom ausführenden Luftfahrtunternehmen sondern z.B. von einem Reiseveranstalter ausgestellt wurde. Passagierfreundlich hält der EuGH fest: Ausreichend ist ein Beleg eines Reiseunternehmens, dieser muss nicht zwingend von der Airline stammen. Es kommt nicht einmal darauf an, ob das Reiseunternehmen mit der Airline einen Vertrag geschlossen hat.
Informationspflichten der Airlines: Kein Versteckspiel
Informationspflichten ergeben sich aus Art. 14 der Fluggastrechteverordnung. Relevant sind diese zum Beispiel, wenn sie verletzt werden und Passagiere direkt zum Anwalt gehen: Der BGH (Urt. v. 31.08.2021, X ZR 25/20) ist der Ansicht, dass Anwaltskosten von Airlines dann sogar ohne Verzug zu erstatten sind.
Wie weit reicht diese Informationspflicht? Der EuGH meint, dass auch anzugeben ist, unter welcher genauen Unternehmensbezeichnung und Anschrift der Passagier seine Ansprüche geltend machen kann und welche Unterlagen er seinem Ausgleichsbegehren gegebenenfalls beifügen soll. Das ist besonders bei solchen Airlines relevant, die sich vor Passagieren gerne verstecken, indem sie umständliche Konstrukte aus Codesharing, Wetlease, ACMI-Leasing und dergleichen verwenden und so für Passagiere unklar ist, wer eigentlich ihr Schuldner ist. Wird die falsche Partei verklagt, könnten dadurch entstandene Kosten auch ggf. ersetzt verlangt werden.
Fazit
Dieser bunte Strauß schöner Antworten des EuGH bereichert die Fluggastrechte-Praxis und schafft mehr Rechtssicherheit für Passagiere.
EuGH Urt. v. 21.12.2021, Rechtssachen C‑146/20, C‑188/20, C‑196/20 und C‑270/20