Da ist sie, der erste bahnbrechende Hinweisbeschluss eines Gerichts zu den verpassten Flügen bei „Mixbuchungen“ von kiwi.com. Für die Fluggesellschaften wird es jetzt bitter.
Kiwi.com: (teil unbemerkt) zusammengemixte Flüge für bessere Preise
Es werden Flüge kombiniert, die sonst nicht so leicht zu finden sind. In Europa handelt es sich dabei oft um Billigflugverbindungen, die eigentlich keine Umsteigemöglichkeit bieten. Mehr zu den putzigen Routings habe ich hier berichtet.
Das Problem: Passagiere sind bei Problemen quasi verloren
Kommt es zu Problemen bei der Flugverbindung, sind die Passagiere meist hilflos: Die beteiligten Airlines sehen nur das „eigene“ Ticket und haben in der Regel keine Kenntnis von der Gesamtstrecke. Wer auf dem Weg von Weeze über Stansted und Mailand nach Abu Dhabi in Stansted strandet, wird von Ryanair ausgelacht, wenn er nach Abu Dhabi gebracht werden will.
Konkreter Fall
Mein Mandant hatte für eine Reise nach Bangkok eine ungewöhnliche Strecke von Düsseldorf über Prag und zwei weitere abenteuerliche Zwischenstopps gebucht.
Er zahlte einen einheitlichen Flugpreis an kiwi.com und erhielt eine einheitliche Buchungsbestätigung. Diese enthielt zwar mehrere Buchungscodes und den Hinweis darauf, dass Gepäck neu aufzugeben ist, war im Übrigen aber unauffällig.
Die kuriose Route war auch den Einreiseproblemen während der COVID-Pandemie geschuldet und würde heute so wohl nicht mehr angeboten. Zum Glück – muss man im Nachhinein sagen – strandete er bereits in Düsseldorf, da Eurowings den ersten Flug nach Prag annullierte. Natürlich ließ man meinen Mandanten mit seinem Wunsch, nun nach Bangkok befördert zu werden, allein. Das Amtsgericht Düsseldorf verurteilte Eurowings nur zur Erstattung des Flugpreises für die Strecke nur bis Prag. Auch sei nur eine Ausgleichszahlung in Höhe von 250,00 € geschuldet, da es nicht auf die Gesamtstrecke bis Bangkok ankomme. Das Gericht zeigt sich hier besonders reiseerfahren:
und stülpt diesen sehr hohen Maßstab auch meinem Mandanten über, der sich sicher war, hier eine übliche einheitliche Umsteigeverbindung gebucht zu haben.
Da dies meines Erachtens vor dem Hintergrund des zu schaffenden hohen Schutzniveaus für Fluggäste nicht mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Einklang zu bringen ist, habe ich meinem Mandanten geraten, gegen das Urteil Berufung einzulegen.
Hinweis des LG Düsseldorf
Das Landgericht Düsseldorf schließt sich in einem ausführlich begründeten Hinweisbeschluss zumindest vorläufig meiner Auffassung an und kommt zu dem Ergebnis, dass Eurowings für die gesamte Strecke haftet:
„Da die Flüge von Düsseldorf nach Bangkok über Prag, Kuwait-Stadt und Kathmandu im Rahmen eines einheitlichen Buchungsvorgangs im Internet (durch einen Mausklick) bei ein und demselben Vermittler gebucht wurden und der Kläger ein Dokument erhalten aus, aus welchem sich sämtliche Flüge mit Flugnummern, Flugzeiten und Fluggesellschaften ergeben, ist nach dem Grundsatz der weiten Auslegung das Vorliegen einer einheitlichen Buchung und damit eines Fluges mit direkten Anschlussflügen i.S.v. Art. 2 lit. h) Fluggastrechte-VO zu bejahen.“
LG Düsseldorf, Hinweisbeschl. v. 01.06.2023, 22 S 105/23)
Es muss also die gesamte Buchung erstattet werden, auch sind nicht nur 250,00 € Ausgleichsleistung, sondern die vollen 600,00 € für die Gesamtstrecke bis Bangkok geschuldet.
Die Begründung ist dabei vollkommen zutreffend: Gleich mehrere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs ragen bis fast in diesen Fall hinein, so z.B. die auch aus Düsseldorf vorgelegte Frage, wie mit Buchungsbestätigungen umzugehen ist, die nicht ein Luftfahrtunternehmen ausgestellt hat (EuGH Urt. v. 21.12.2021, C-146/20), bei der der EuGH auch aufgrund des hohen Passagierschutzniveaus eine auch von einem Dritten ausgestellte Buchungsbestätigung ausreichen lässt: Alle Entscheidungen miteinander verbunden, ergibt sich die Haftung Eurowings` für die gesamte Reise.
Fazit
Die Luft wird dünn für Luftfahrtunternehmen. Wer Reisepläne durchkreuzt, hat mit den dadurch verursachten Folgen zu leben. Diese Folgen weiten sich nun aus, um so ein hohes Passagierschutzniveau sicherzustellen. Airlines werden sich, sollte sich diese Auffassung durchsetzen, künftig mit mehr Problemen rund um solche gemischten Verbindungen auseinandersetzen müssen und überlegen, wie ein Regress gegen Vermittler wie kiwi.com möglich ist. Neben Ausgleichszahlungen und Erstattungen ist insbesondere die Ersatzbeförderung ein heißes Thema: Im vorliegenden Fall hätte Eurowings meinen Mandanten nach Bangkok befördern (lassen) müssen.
Für die Fluggäste ist es erfreulich, dass sie bei diesen äußerst fehleranfälligen Buchungen nun mit größerer Sicherheit einen kompetenten Ansprechpartner finden, der – wenn die Reise in Deutschland beginnt oder endet – auch vor einem deutschen Gericht in Anspruch genommen werden kann. Es ist zu erwarten, dass hier ähnliche Entscheidungen folgen werden, ich betreue derzeit Verfahren am AG Königs Wusterhausen (Flughafen BER) und Frankfurt am Main zu ähnlichen Fallkonstellationen. Wer also Probleme mit einer kiwi.com-Buchung hat, hat gute Chancen, diese gelöst zu bekommen.
LG Düsseldorf, Hinweisbeschl. v. 01.06.2023, 22 S 105/23 hier im Volltext