128a ZPO Amtshaftung Videokonferenz

Amtshaftungsanspruch nach verweigerter Videoverhandlung gem. § 128a ZPO?

In einem aktuellen Fall bietet sich eine gute Gelegenheit, einen Amtshaftungsanspruch (auch) aus Anlass einer verweigerten Teilnahmemöglichkeit im Wege der Bild- und Tonübertragung gem. § 128a ZPO an einer mündlichen Verhandlung geltend zu machen. Mein Ziel: Eine breitere Verfügbarkeit der technischen Ausstattung, damit Richter, die diese Möglichkeit nutzen möchten, sie auch nutzen können. Dazu möchte ich ein paar Hintergrundinformationen geben.

Zu den Anfängen von § 128a ZPO

Bereits 2001 hat sich der Gesetzgeber gedacht, dass es eine gute Idee wäre, sinnlose Reisen quer durch die Republik durch eine „Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung“ zu ersetzen. Für alle Beteiligten bietet ein solches Vorgehen Vorteile: Es werden zeit- und kostenintensive Reisen vermieden, Terminsänderungsanträge können stark reduziert und Verfahren damit schneller abgeschlossen werden, an Stelle von schriftlichen Verfahren gem. § 128 ZPO, können verstärkt grundrechtsfördernde Entscheidungen nach mündlicher Verhandlung ohne erheblichen Mehraufwand treten.

Zurück zum Jahr 2001: Damals habe ich im T-Punkt in der Bremer Innenstadt voller Begeisterung mit dem T-View 100 total fasziniert per ISDN die Gegenstelle auf Helgoland angerufen und konnte sehen, wie Möwen an der Kaimauer vor bunten Häusern entlangsegeln. Zugegeben: Es waren eigentlich nur ein paar bunte Klötzchen, die sich da auf dem 320 x 240 Pixel Display bewegten. Kurz: Als die Regelung in Kraft trat, waren Videokonferenzen eher in großen internationalen Konzernen ein Thema und für kleinere Unternehmer (wie Rechtsanwälte) oder Behörden noch rein technologisch in weiter Ferne.

Der Staat wollte hier aber auch nichts überstürzen: Bis zum 31. Dezember 2017 konnten Länder bestimmen, dass diese neuen Regeln nicht zur Anwendung kommen.

20 Jahre später – Ein Flickenteppich dank Covid19

20 Jahre später erleben meine Kollegen und ich einen Flickenteppich, wobei wir dies Covid19 zu verdanken haben. Diese Aussage überrascht auf den ersten Blick, aber sie trifft zu: Ohne Covid19 hätten die heute teilnehmenden Gerichte noch keine Technik hierfür angeschafft. Erst der Druck auf Gerichte von Beschäftigten und Rechtssuchenden sowie deren Anwälten, um unnötige Kontakte zu vermeiden, hat aus meiner Sicht die Einführung der hierzu erforderlichen Technik massiv beschleunigt und beschert uns nun zumindest faire Chancen darauf, aus der Ferne teilnehmen zu können.

Dabei beobachte ich eine merkwürdige Verteilung der Möglichkeiten an Zivilgerichten: Während Niedersachsen zum Beispiel gefühlt an jedem Dorfgericht top ausgestattet ist und auch gerne mitspielt, hapert es in Berlin und Bayern gewaltig. Der Kollege Jannik Krone hat sich die Mühe gemacht und sammelt dazu Erfolgsberichte von Gerichten bundesweit unter auf 128a.de.

Ermessensentscheidung des Gerichts

Selbst wenn nach der oben verlinkten Aufstellung die Technik hierfür vorhanden ist, bedeutet das nicht, dass das Gericht auf Antrag der Beteiligten auch die Teilnahme auf diese Art und Weise gestattet. Die Formulierung („kann…gestatten„) zeigt: Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung des Gerichts.

Argumente gegen die Teilnahme auf diesem Weg sind vielfältig. Geht es um den persönlichen Eindruck von Verfahrensbeteiligten, dürfte ein Gericht hier problemlos einen solchen Antrag negativ bescheiden dürfen. Auch wenn es technische Schwierigkeiten (z.B. Verbindungsausfälle) gab, ist das ein valider Punkt.

Aus meiner Sicht eignet sich ein solches Vorgehen gerade in solchen Fällen, in denen im wesentlichen rechtliche Gesichtspunkte von Bedeutung sind und die persönliche Beziehungen der Beteiligten irrelevant ist. Gerade die von mir betreuten Verfahren im Bereich Fluggastrechte, Verbraucherrecht und Gewerblicher Rechtsschutz sind da in vielen Fällen Musterbeispiele für wenig sinnvolle Reisen durch die Republik.

Fehlerhafte Ausübung des Ermessens

Eine Ermessensentscheidung ist lediglich dann angreifbar, wenn das Ermessen fehlerhaft ausgeübt wurde. Das ist im Rahmen dieser Entscheidungen insbesondere dann denkbar, wenn ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt, also Umstände einbezogen werden, die nicht einbezogen werden dürften.

An dieser Stelle möchte ich betonen, dass es mir nicht darum geht, Technikmuffel in der Richterschaft zu belehren und ihnen die Videoverhandlung aufzuzwingen. Vielmehr geht es mir um unzählige Richter, die mir auch in persönlichen Gesprächen ganz begeistert von den neuen Möglichkeiten berichteten, nur um dann anzuschließen, dass der Dienstherr es (noch) nicht für erforderlich gehalten hat, die dafür benötigten technischen Voraussetzungen zu schaffen. Die Richterschaft steht dem Thema überwiegend aufgeschlossen gegenüber, hat aber oft nicht die Voraussetzungen, um damit arbeiten zu können.

Mit dem stellvertretenden Direktor des Amtsgerichts Wildeshausen, Benedikt Windau, bin ich einer Meinung, dass das Fehlen der technischen Voraussetzungen im Rahmen der Ermessensentscheidung nicht zu berücksichtigen ist (Beitrag im Anwaltsblatt, so auch v. Selle in BeckOK ZPO § 128a Rn. 5, a.A. u.a. Müller in ASR 2021, 147, 151).

Folge: Amtshaftungsanspruch?

Entsteht einem Beteiligten durch eine ermessensfehlerhafte Entscheidung ein Schaden, kommt hier ein Amtshaftungsanspruch gem. § 839 BGB, Art. 34 GG in Betracht. Meiner Ansicht nach greift hier auch nicht das Spruchrichterprivileg gem. § 839 Abs. 2 BGB, da durch eine Entscheidung gem. § 128a ZPO nicht die verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit des Richters oder der Schutz von Rechtsfrieden oder Rechtssicherheit tangiert wird.

Typische Schäden sind dabei Reisekosten von Partei und Rechtsanwalt, die nicht angefallen wären, wenn eine Teilnahme im Wege des § 128a ZPO gestattet worden und erfolgt wäre.

Genau so ein Fall liegt mir nun vor, der möglicherweise in Kürze zu der meines Wissens nach ersten Entscheidung führen könnte, ob ein solcher Amtshaftungsanspruch besteht. Das LG Landshut begründete die Ablehnung des Antrags wie folgt:

Im Gespräch zeigte sich das Gericht dabei durchaus angetan von dieser Möglichkeit, es fehlte schlicht an den Voraussetzungen dafür.

Ich erwarte, dass im Falle einer erfolgreichen Durchsetzung des Amtshaftungsanspruchs die Beschaffung der technischen Ausstattung weiter oben auf der Agenda der Länder rückt, was für alle Beteiligten, die hiervon Gebrauch machen wollen, ein Fortschritt wäre.

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